35. Tag – 34. Etappe (Santiago de Compostela – Négeira)

Später als geplant machen wir uns heute also auf den Weg zum Ende der Welt.

Der Weg während unserer ersten Etappe nach Négeira ist sehr ursprünglich – viele Wälder, viele schmale Pfade. Wir werden an unsere ersten Tage auf dem Camino erinnert, als wir ähnlich naturbelassene Wege hatten.

Das Wegeprofil der gesamten Wegstrecke nach Finisterre  ist sehr wellig, was wir gleich heute zu spüren bekommen.  Wir müssen uns schon gewaltig die Berge hochquälen.

Übrigens habe ich heute nach über 800 Kilometern tatsächlich das allererste Mal meine Trekkingstöcke nach einer Pause am Wegesrand stehen lassen. Gott sei Dank hat ein Radfahrer sie mir nachgetragen, denn
auf dem Camino gilt ein ungeschriebenes Gesetz – Niemals den Weg den man gelaufen ist zurücklaufen! Auch ohne dieses Gesetz wäre ich nicht so verrückt gewesen und wäre umgekehrt um die Trekkingstöcke zu holen – schließlich trägt mich niemand zurück zum Ausgangspunkt – ich MUSS laufen.

Gut, dass wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, was uns am Folgetag erwarten wird.

Am Abend sitzen im Restaurant zwei junge Mädels hinter uns, die stolz berichten, den ersten Tag ihres Caminos von Santiago nach Finisterre sensationell gemeistert zu haben und sie planen, die Etappen in drei statt in vier Tagen zu laufen. Wir denken uns nur schmunzelnd unseren Teil …

Fazit: Übermut kommt vor dem Fall …

34. Tag – 33. Etappe (O Pedrouzo – Santiago de Compostela)

Wir haben es tatsächlich geschafft. Nachdem wir heute um 5:00 Uhr aus O Pedrouzo aufgebrochen waren, haben wir um 10:00 Uhr den Vorplatz der Kathedrale von Santiago erreicht. Ein unbeschreibliches Gefühl, seinen Fuß auf den „Kilometerstein Null aller Caminos“ zu stellen, welche dort, sternförmig aufeinandertreffen. Wir sind zu diesem Zeitpunkt noch ziemlich allein auf dem Platz und können den besonderen Moment auf uns wirken lassen.

Unbegreiflich – man läuft 799 Kilometer (dies ist die uns offiziell bestätigte Kilometerzahl) und ganz plötzlich steht man da. Wochenlang stellt man sich den Moment vor, in dem man den Kathedralenvorplatz betritt und letztendlich prasseln so viele Eindrücke auf einen ein, dass man DEN Moment gar nicht beschreiben kann.

Nachdem wir eine ganze Zeit einfach nur dastehen und die vielen Eindrücke aufsaugen, haben wir uns entschieden, unsere Rucksäcke in unsere Unterkunft zu bringen – Rucksäcke darf man, entgegen aller Spekulationen im Internet und unter den Pilgern, nicht mit in die Kathedrale nehmen. Um 12:00 Uhr geht es dann in die Kathedrale zur Pilgermesse.

Wir haben wohl einen besonderen Tag erwischt, denn die Messe wird vom Bischof abgehalten und beginnt zunächst mit dem offiziellen Einzug der Ehrengäste (in diesem Fall Militär und Polizei nebst Familien). Anschließend ziehen der Bischof, Pastore und Messdiener ein, nachdem einer der Messdiener hochoffiziell 3 x mit einem Stab vernehmlich auf dem Boden aufklopfte. Die Messe wird in Spanisch abgehalten, wir verstehen so gut wie nichts. Das ist aber auch nicht wichtig, denn eine Nonne singt während der Messe so engelsgleich, dass sie so manches Pilgerherz berührt. Der Pilgersegen wird in diversen Sprachen gesprochen, das „Vater Unser“ geht immer und auch die Kommunion, die ausschließlich den Pilgern vorbehalten ist, wird in der Sprache des jeweiligen Pilgers verteilt. Am Ende wird dann auch noch das berühmte Weihrauchfass, die Botafumeiro, durch das Querschiff geschwenkt. Das ist für uns der persönliche Höhepunkt der Pilgermesse, denn dieses wird nur an besonderen Tagen oder zu besonderen Anlässen geschwenkt (nicht verwunderlich, die Aufhängekonstruktion ist mittelalterlich, die Herren, die Tiraboleiros, die am Strick ziehen auch und die Butafumeiro schwenkt teilweise schon bedenklich hoch).

Während der Messe müssen wir uns ein paar Mal fremdschämen. Trotz mehrfachem Hinweis des Sicherheitspersonals, dass die Kathedrale während der Messe für Besucher nicht zugänglich ist, laufen Touristen und auch die Toureligrinos in der Kathedrale umher, reden laut, machen sich durch Pfiffe aufeinander aufmerksam und stellen sich – unfassbar – zum Fotografieren vor die Teilnehmer der Pilgermesse.

Nach der Messe gehen wir dann natürlich zum hl. Jakobus hinter den Hochaltar und beenden durch eine Umarmung der Statue (die wirklich aus purem Gold und Edelsteinen besteht) offiziell unsere Pilgerreise auf dem Camino Frances.

Im Pilgerbüro beantragen wir anschließend unsere Compostela. Der Ansturm ist natürlich groß aber entgegen aller Bangemacherei durch Pilgerfreunde, die jemanden kennen der jemanden kennt, der mehrere Stunden hat warten müssen, halten wir unsere Compostela bereits nach gut einer Stunde ausgefertigt in der Hand.

Abends gönnen wir uns Tapas und gehen wieder früh zu Bett – schließlich wollen wir am kommenden Tag zum Ende der Welt aufbrechen.

Fazit des Tages: Wir sind tatsächlich den Camino Frances gelaufen 😀.

32./33. Tag – 31./32. Etappe (Palas de Rei – Arzúa – O Pedrouzo)

Galizien ist noch immer schön aber wir haben Wochenende. An diesen Tagen ist das Aufkommen an Luxuspilgern noch höher, die Wochenendpilger kommen hinzu. Bei den Wochenendpilgern ist bezeichnend, dass die Männer außer den Rucksäcken noch ein brummeliges Gesicht tragen und die Frauen ihre neuesten Hightec- und Ultra-Light-Sportsachen sowie ihre Trekkingstöcke aus dem Schrank geholt haben um ein wenig Show zu laufen (zugegeben schwingt hier ein wenig Neid mit – denn über vier Wochen Camino fordern einfach ihren Tribut …).

Was wir jedoch definitiv nach über vier Wochen besser beherrschen  – das Zusammenspiel zwischen Beinen und Trekkingstöcken 😀😂.

Bezeichnend ist in diesen Tagen auch, dass die Langzeitpilger alle langsamer werden, weil ihnen bewusst wird, dass die Reise schon ganz bald zu Ende geht und sie daher noch einmal gedanklich reflektieren, die Luxus- und Wochenendpilger hingegen schneller werden, um möglichst schnell am Ziel zu sein.

Unsere Pillipinos haben wir im Übrigen heute mehrmals getroffen – humpelnd, schnaufend und über eine Vielzahl an Blasen klagend (oh ja, wir wissen wovon sie sprechen).

Fazit des Tages: Wir hatten noch nie so viel Kleidung im heimatlichen Kleiderschrank wie jetzt gerade.

30./31. Tag – 29./30. Etappe (Sarrin – Potomarín -Palas de Rei)

Unsere beiden heutigen Etappen führen uns wieder durch die extrem schöne galizische Berglandschaft. Da wir nun fast schmerzfrei laufen (ganz schmerzfrei wird wohl ein unerfüllter Wunsch bleiben) können wir die Landschaft einfach mal nur genießen.

Wir passieren heute den Kilometerstein 100. Unglaublich, es sind tatsächlich nur noch 100 Kilometer bis Santiago. Wir erinnern uns heute an die Anfänge unseres Weges, an all die Schmerzen die wir hatten und an den Biss, den der Camino von uns eingefordert hat. Wir sind in diesem Moment so froh, immer durchgehalten zu haben, so froh immer weitergelaufen zu sein. Nie hätten wir all die Schönheiten des Weges bewundern können, all die Freundschaften schließen können, wenn wir auch nur an einem Punkt des Weges aufgegeben hätten. Dennoch, es sind noch ein paar Meter zu Laufen …

Heute sind eine Menge Luxuspilger gestartet, die nach 100 Kilometer Wegstrecke stolz verkünden werden, dass sie den Camino gelaufen sind. Bei den Spaniern heißen diese Pilger übrigens Tourelegrinos 😀. Wir sind gespannt, wie viele dieser Luxuspilger wir tatsächlich in Santiago treffen werden – wir denken an die Schmerzen, die wir während der ersten 100 Kilometer hatten.

Wir lernen heute eine Gruppe Philippinos kennen, die ebenfalls im Rahmen ihrer Europarundreise die letzten 100 Kilometer bis Santiago laufen wollen, weil sie gehört haben, dass es etwas ganz Besonderes ist. Ausstaffiert mit neuen 😳😫 Schuhen und alles was zu einem perfekten Pilger gehört (damit den Rucksack natürlich maßlos überladen), macht sich die Gruppe auf zu ihrem 4-Tage-Abenteuer nach Santiago. Vorher werden mit uns noch diverse Gruppenfotos gemacht, weil wir immerhin schon stolze 30 Tage unterwegs sind. Schauen wir einmal, ob alle noch so fröhlich sind, wenn wir sie in den folgenden Tagen treffen.

Fazit des Tages: Wir sind stolz auf uns.